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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.02.2006


Hedwig Dohm im Gespräch
Ruth Niehaus

AVIVA-Redakteurin Ruth Niehaus "sprach" mit der Schriftstellerin, Publizistin, Dramatikerin und Feministin über Gleichberechtigung und die längeren Beine der Männer.




Seit die II. Internationale Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen den Frauentag eingeführt hat, ist in zähen Kämpfen viel erstritten worden, was zu Beginn des Jahrhunderts noch in unerreichbarer Ferne zu liegen schien: Wahlrecht, Mündigkeit, Zulassung zu beinahe allen Berufen und Studiengängen oder die Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz.
Frauen in der Politik oder auf Chefsesseln sind längst kein einmaliges Phänomen mehr. Seit 2005 ist der mächtigste Posten in Deutschland von einer Frau besetzt. Also, Ziel erreicht und die Hände in den Schoß gelegt? - Mitnichten: die Statistik und die Erfahrung vieler zeigen: von umfassender Gleichberechtigung kann noch nicht die Rede sein.

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HEDWIG DOHM gab im Jahr 2000 der AVIVA-Redakteurin Ruth Niehaus zum 90. Frauentag die Ehre eines Interviews, das wir anlässlich des Hedwig Dohm - Jahres und der Eröffnung ihrer Webseite, entstanden durch die Initiative von Isabel Rohner und Nikola Müller, www.hedwigdohm.de aktualisiert erneut veröffentlichen.

AVIVA-Berlin: "Wir leben in einer Zeit des Überganges", schrieben Sie 1874 in "Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau". Doch ein Blick auf einen x-beliebigen Spielplatz zeigt: die Zeit des Übergangs dauert nun schon über hundert Jahre an, und - bei allen Errungenschaften - ein Ende ist nicht abzusehen.
Hedwig Dohm: "Wenn ein Volk das andere beherrscht, so kann ich mir als Bedingung der Herrschaft nur denken: entweder eine größere geistige oder physische Kraft, (...) oder zweitens, der Besitz der Macht, diese mag nun eine ererbte oder eine durch Gesetz oder Tradition festgestellte sein.
Der maßgebende Gesichtspunkt bei der Frauenarbeitsfrage ist nicht das Recht der Frauen, sondern der Vorteil der Männer."


AVIVA-Berlin: Wie rechtfertigte man damals den Ausschluß von Frauen aus öffentlichen Ämtern?
Hedwig Dohm: Es hieß u.a., "wegen ihres durch Gefühlsrücksichten leicht irregeleiteten Verstandes sei die Wirkungssphäre der Frauen nicht in den Kreisen des öffentlichen Lebens zu suchen". Das schien mir interessant, "gewahren sie doch kein Gebiet männlicher Tätigkeit, auf dem nicht abwechselnd Haß und Parteileidenschaft, maßlose Eitelkeit, Ehrgeiz, Rache, Aberglauben und Genußsucht ihr wildes Spiel treiben".

AVIVA-Berlin: Wurde der Vorwurf der Gefühlsduseligkeit deutlicher gemacht - in bezug auf´s Berufsleben?
Hedwig Dohm: Leider nicht, das mußte ich übernehmen. Ich versuchte mich in diese Argumentationsweise hineinzudenken. Das klang dann so: "Frau B. hat eine Professur der Geschichte inne. Sie soll von den Gräueltaten der römischen Kaiserzeit berichten. Da erstickt der Schmerz um die Ermordeten ihre Stimme, der Abscheu raubt ihr den Atem, sie verliert den Faden der Gedanken und muß ohnmächtig hinausgetragen werden".

AVIVA-Berlin: Die Ärmste!
Hedwig Dohm: "Oder an der Börse. Sie ist eben im Begriff einen großen Coup zu machen. Sie kann in einer Stunde 30.000 gewinnen, da erbebt ihr Gemüt! Gott im Himmel - eine Träne der Gerechtigkeit schmückt ihr Auge, sie schnappt ab - die 30.000 sind dahin".

AVIVA-Berlin: Tja, so kann´s kommen.
Hedwig Dohm: "Oder nehmen wir noch das Beispiel einer Postmeisterin: Es wird ihr von einem Menschen ein Paket übergeben, dessen Gesicht ihr heftigen Widerwillen einflößt. Sie bringt das Paket um die Ecke, um ihrer Antipathie zu fröhnen".

AVIVA-Berlin: So ganz vom Tisch ist die Frage der Sensibilität allerdings noch nicht. Auch heute wird hin und wieder überlegt: sind Frauen zu schlaff, um "in Sach- und Machtfragen" hart zu entscheiden?
Erstaunlich beliebt ist beim Postenschacher auch der ästhetische Gesichtspunkt. Herr Stoiber, assistiert von der Bildzeitung, macht sich Gedanken um Frau Merkels Haartracht - ein ganz alter Hut.
Hedwig Dohm: In der Tat. "Mit dem Begriff einer starkgeistigen, d.h. denkenden und wissenden Frau verbindet man gern die Vorstellung von harten Zügen, einer langen Nase (...) und einer, wenn auch unverschuldeten, so doch unerfreulichen Ältlichkeit. Besonders fantasiereiche männliche Gemüter neigen auch zur Annahme eines kleinen Schnauzbartes...
Die verführerischsten und liebreizendsten Frauen Frankreichs waren fast immer zugleich die starkgeistigen. Ich kann nicht daran glauben, daß dem gemütreichen Hindämmern über Kochtöpfen die kosmetische Kraft inne wohnt, den Teint zu heben oder die Runzeln zu verklären."
Und letztlich - "müßten nicht von diesem ästhetischen Gesichtspunkt aus auch alle Männer, die sich von der Normalgestalt des Apollo von Belvedere um so und so viele Linien böswillig entfernt haben, aller öffentlichen Ämter enthoben werden"?

AVIVA-Berlin: Was denken Sie - woran liegt es, daß in dieser Frage so dumpf argumentiert wurde, und wird, wie man am Beispiel Merkel sieht?
Hedwig Dohm: "Daß die Frage der Konkurrenz bei der Einschränkung der Frau bewußt oder unbewußt eine große Rolle spielt, ist für mich zweifellos. Die Majorität der Menschen urteilt nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Magen.
Ein Beweis dafür ist der Umstand, daß jeder Mann das unermeßlich wichtige Geschäft, das er gerade betreibt, für denjenigen Beruf hält, den auszufüllen Gott und die Natur der Frau versagt habe.
Wie sonderbar diese Konkurrenzsucht ist!
Sind die Männer wirklich mit höheren Kräften begabt,(...)so brauchen sie doch die Konkurrenz nicht zu fürchten (...). Sind ihre Kräfte aber nicht höher, so setzen sie sich dem Verdacht aus, daß sie die Frauen einsperren, damit sie ihnen nicht die Preise verderben, und ihr Verhalten wird zur Gewalttat, zur widerrechtlichen Aneignung eines Monopols".


AVIVA-Berlin: A propos Preise. Das statistische Landesamt Berlin verrät: 1999 verdienten männliche Arbeitnehmer im Schnitt 1950 Mark netto im Monat. Frauen mußten mit 500 Mark weniger auskommen
Hedwig Dohm: "Dieselben ökonomischen Erscheinungen wiederholen sich (...)" Ich hoffte damals beweisen zu können, "daß zwei Grundprinzipien bei der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau klar und scharf hervortreten: die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte für die Frauen. Nie und nirgends hat man die Frau von den mühsamsten (...) Beschäftigungen fern gehalten, etwa aufgrund ihrer zarten Konstitution - Schranken, die aufzuführen man niemals versäumt, wo es sich um höhere und einträglichere Arbeitsgebiete handelt".

AVIVA-Berlin: Frau Dohm, hatten Sie niemals Lust, das Handtuch zu werfen?
Hedwig Dohm: Nein, dafür ist es zu amüsant. Ein Professor bemerkte z.B. sehr richtig: "´Der Mann hat längere Beine als die Frau´..."

AVIVA-Berlin: ...und wollte damit wahrscheinlich ihre Studierunfähigkeit beweisen!
Hedwig Dohm: Tja... "Ein Schlußsüchtiger könnte allenfalls daraus schließen, daß der Mann sich mehr zum Briefträger eigne, als die Frau..."

Die im Interview in Anführungsstriche gesetzten Passagen sind Originalzitate aus: Hedwig Dohm, Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau, Berlin 1874. Erschienen 1982 in der zweiten Auflage beim ALA Verlag Zürich als Reprint (ISBN 3-85509-024-6)

Hedwig Dohm setzte sich in etlichen Streitschriften mit unvergleichlichem Biß für Frauenbelange ein. Ohne Scheu vor Autoritäten kämpfte sie für die Aufhebung von Studien -und Berufsbeschränkungen, und für das Wahlrecht der Frauen. Besonders mit dieser Forderung war sie ihren Zeitgenossinnen weit voraus. Obwohl in der Frauenbewegung engagiert, war sie politisch eher eine Einzelkämpferin.

Als ihre wichtigsten Schriften sind zu nennen:
"Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung"1902
"Die Mütter. Beitrag zur Erziehungsfrage"1903
"Die Erziehung zum Stimmrecht der Frau"1909

Aktuelle Zahlen und Fakten aus dem WSI-FrauenDatenReport 2005:
  • (...) Zwischen 1991 und 2004 sank die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen um 1,6 Millionen, während die Zahl der Frauen in Teilzeitjobs um 1,8 Millionen stieg.

  • Entsprechend öffnete sich die Schere zwischen den durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeiten von Männern und Frauen weiter: (...)Im gesamtdeutschen Durchschnitt arbeiten Männer 40,2 Stunden, Frauen dagegen nur 30,8 Stunden. Drastisch stieg der Anteil der Frauen, die lediglich sehr kurze Teilzeit-Jobs unter 15 Stunden in der Woche haben: von knapp sechs Prozent 1991 auf 13 Prozent 2003.

  • Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, hat sich seit 2001 gut verdoppelt - allerdings lediglich von zwei auf fünf Prozent. (...)

  • Das durchschnittliche Einkommen von Frauen mit Vollzeittätigkeit liegt in Deutschland weiter erheblich unter dem der Männer. In Westdeutschland verdienen Frauen im Durchschnitt 23 Prozent weniger, in Ostdeutschland etwa 10 Prozent. (...) Unter den 25 EU-Ländern gibt es nur zwei, in denen die Lohnkluft zwischen den Geschlechtern noch größer ist als in Deutschland: Estland und die Slowakei.


  • Lesen Sie auch den Beitrag zur Eröffnung der Webseite von Hedwig Dohm auf AVIVA-Berlin.


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    Beitrag vom 01.02.2006

    Ruth Niehaus